Saorise

Hauptstadt Damasias

Die Augen geschlossen genieße ich die Sonne in meinem Gesicht. Ich atme tief ein. Der Wind ist etwas feucht von seinem Weg über das Wasser. An der kleinen Mauer, an die ich mich lehnte, schäumt der Fluss. Das blaue, Leben spendende Band, das sich einmal durch Saorise zieht.


Das Schwappen der Wellen mischt sich mit entspanntem Geplauder. Ich bin nicht die Einzige, die sich an diesem sonnigen Tag für einen Spaziergang entschieden hat. Familien, Pärchen oder einfach Ruhesuchende tummeln sich auf den Sandsteinblöcken, die sich am Ufer entlangziehen. Sie lauschen der Musik einiger Straßenkünstler. Lassen sich zum Wippen im Takt anstiften.


Ich blicke den Fluss hinab. Das Blau ist gesäumt von Ocker und Sand, in das sich grüne Tupfer von Pflanzen sprenkeln. Die Stadt Saorise erstreckt sich über eine karge Ebene. Sie ist eingerahmt von den steilen Hängen der angrenzenden Canyons, die sowohl Schutz als auch Gefahr für die Menschen sind. Ohne den Fluss wäre ein Überleben schwer möglich. 


Diesem Zusammenspiel zollen die Bewohner der Stadt Respekt. Ihre gedrungenen Häuser sind gebaut aus dem Material der Gegend: Stein und Lehm. Doch das Braun ist bekleckst mit bunter Heiterkeit. In strahlenden Farben ziehen sich in eckigen Mustern um die Tür- und Fensterrahmen. Ich bewundere die Kunstwerke, die die Fassaden der Häuser auf dem gegenüberliegenden Ufer zieren. Man sieht darin die Lebenslust und die Hoffnung der Bewohner. 


Mit einem zufriedenen Lächeln stoße ich mich von der Mauer ab und setze mich in Bewegung. Ich lenke meine Schritte die Promenade hinab und durch die kleinen Gassen zur Hauptstraße. Dort wird das Gewusel der Leute dichter.


Sobald ich auf die breite, gepflasterte Straße trete, werde ich von den Rufen der Händler begrüßt. An den Auslagen der Geschäfte oder an Wagen am Straßenrand versuchen sie ihre Waren an die Leute zu bekommen. Ich schlendere an der Auswahl entlang. Fremde Gerüche nach Gewürzen, Fellen und sogar Parfüm kitzeln in meiner Nase. 


Mit den Menschen treibe ich die Stände entlang. Ich plaudere hier und da mit einem der Händler und kaufe eine kleines in ledergebundenes Notizbuch. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass ich angerempelt werde. Ein Zusammenstoß ist so heftig, dass ich mich mit einer Entschuldigung an die Person wende. 


Ich zucke zusammen. Große Kinderaugen blicken mich an. Zu tief liegen sie in einem hageren Gesicht, das mit Schmutz überzogen ist. Das, was man als Kleidung bezeichnen könnte, starr ebenfalls vor Dreck und bietet kaum Schutz gegen die Kälte der Nacht. Das Mädchen muss gerade einmal zehn Jahre alt sein. Ihre langen Haare sind verklebt und verknotet. Sie zieht die Nase hoch und wischt sich mit dem Handrücken den Rotz von der Oberlippe. Bevor ich etwas sagen kann, verschwindet sie in der Menge.


Der Anblick hängt mir in den Knochen, sodass ich mich nicht vom Fleck rühren kann. Ich weiß, dass es Probleme in Damasia gibt. Freiheit verleitet die Menschen oft genug, nur im eigenen Sinne und weniger im Sinne der Allgemeinheit zu handeln. Was für Schwächere bedeutet, dass sie unter die Räder kommen. Aber ein Kind?


„Alles in Ordnung?“


Colins Stimme lässt mich zusammenzucken. Mit großen Augen starre ich ihn an, während er langsam auf mich zukommt. Das Sonnenlicht verfängt sich in seinen hellen Locken und lässt seine dunklen Iriden schimmern. 


„Alles in Ordnung?“, wiederholt er seine Frage. Er mustert mich besorgt, tritt einen Schritt näher und legt eine Hand auf meine Schulter.


„Ich weiß nicht“, murmele ich meine Antwort. Ich lehne mich für einen Atemzug an ihn. Auch wenn ich nicht weiß, woher er auf einmal herkommt, bin ich dankbar dafür. Seine Anwesenheit tut gerade verdammt gut.


„Übrigens hast du da was ‚verloren‘.“ Er hebt seine flache Hand zu meinem Gesicht hoch. Auf seinen ausgestreckten Fingern liegen ein paar Münzen.


„Was?“


Sein Blick in die Richtung, in die das kleine Mädchen verschwunden ist, beantwortet meine Frage und augenblicklich zieht sich mir der Magen zusammen. „Gib es ihr zurück.“


Colin runzelt die Stirn. „Wie bitte?“


„Sie braucht das mehr als ich.“ Ich schließe seine Finger um die Münzen und drücke seine Faust hinunter. Saorise ist das pulsierende Leben. In den Farben, den exotischen Gewürzen und der Musik auf der Straße drückt sich die Lebensfreude der Menschen aus. Sie feiern ihre Freiheit. Aber Freiheit ist ein wertvolles Gut, wofür oftmals die Falschen bezahlen müssen.

Bilder von Canva, Filter von Prequel